Rückblick:
Wird China krank, bevor es reich wird?

12.09.2014



Gäste:

OKUMA Yuichiro, Jg. 1981, ist seit 2009 Umweltjournalist bei Japans größter Nachrichtenagentur Kyodo News, seit 2011 als China-Korrespondent in Peking.

WANG Yongchen, Jg. 1954, ist Reporterin bei China National Radio. 1996 gründete sie die chinesische NGO „Green Earth Volunteers“.

Stephan SCHEUER arbeitet seit 2013 als China-Korrespondent der deutschen Nachrichtenagentur dpa in Peking. Zuvor war er für dpa in Berlin und in Frankfurt/Main.


Moderatorin:

DUAN Congcong studierte Europastudien an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Von 2005 bis 2014 arbeitete sie als Journalistin für die chinesische Tageszeitung Global Times in Peking.


Zeit:

18. August 2014, Peking


Am 18. August fand mit insgesamt 22 Teilnehmern in Peking die 11. Veranstaltung der Vortrags- und Diskussionsreihe „Same same or different? Journalismus in China und Deutschland“ statt.

Wang Yongchen, ehemalige Reporterin bei China National Radio, zeigte zunächst mit zahlreichen Bildern den aktuellen Zustand mehrerer Flüsse in China. In Südwestchina stehen so viele Wasserkraftwerke, dass sie die ursprüngliche Ökologie vor Ort gravierend verändert haben. Laut Wang halten es einige Experten für möglich, dass die häufigen Erdbeben im Südwesten mit der großen Zahl neu gebauter Wasserkraftwerke in Zusammenhang stehen. Wang ist auch Initiatorin der Kampagne zur Erkundung der Umwelt im Einzugsgebiet des Huanghe-Flusses. Ihr Team soll jedes Jahr von der Quelle des Flusses aus entlang seines Verlaufs bis ans Meer fahren, um die gesamte Ökologie des Huanghe zu beobachten.

Wang ist der Meinung, dass die Umweltverschmutzung in China ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat, sie erwartet noch schlimmere Umweltprobleme. Chinas Reporter, forderte sie, sollten noch mehr vorab vor den Gefahren von Umweltverschmutzung warnen, sollten frühzeitig berichten und nicht, wie jetzt häufig, nur über die Probleme berichten, wenn sie bereits auftreten, ohne zu erläutern, wie sie zustande gekommen sind. Wang denkt auch, dass man als Umweltjournalist in China seine Berichte mit besonderer Sorgfalt formulieren muss: Wenn zu zurückhaltend berichtet wird, fühlen die Leser und Zuschauer zurecht ein Unbehagen. Wenn zu schonungslos berichtet wird, werden die Berichte nicht von der Regierung erlaubt. Chinesische Journalisten müssen also besonders geschickt darin sein, die Informationen zu verbreiten, die den Interessen der Öffentlichkeit am meisten entsprechen.

Anschließend erzählte Okuma Yuichiro aus seiner Perspektive als japanischer Umweltjournalist. Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg, sagte er, litt das Land eine Zeit lang auch unter schwerer Umweltverschmutzung, wie die früheren „Vier Großen Verschmutzungskrankheiten“ von Japan gezeigt hätten. Diese vier Krankheiten traten in den 70er Jahren häufig in Japan auf, als infolge der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung Wasser und Luft stark verschmutzt waren. In der Berichterstattung über Chinas Umweltprobleme lege er Wert auf die Beschreibung ähnlicher Situationen in Japans Nachkriegsgeschichte.

Die japanische Bevölkerung schenke Chinas Umweltproblemen besonders viel Aufmerksamkeit, weil die Sorge groß ist, dass Japan von der sich verschlimmernden Umweltsituation in China selbst mehr und mehr betroffen sein wird, erklärte Okuma. Als Nachbarland führe Japan zudem viele Nahrungsmittel aus China ein. Er glaubt, dass die japanischen Medien sich in China besonders für Demonstrationen interessieren, die mit Umweltproblemen zu tun haben. In solchen Berichten machen die japanischen Medien zuerst auf die Forderungen des chinesischen Volks aufmerksam, dann erörtern sie, ob es Probleme gibt bezüglich der Politik der Regierung und der Handlungsweise der betroffenen Unternehmen. Als ausländischer Korrespondent sei er bislang nicht auf größere Schwierigkeiten bei seinen Recherchen über Umweltprobleme in China gestoßen, so Okura.

Der deutsche Journalist Stephan Scheuer erklärte, dass Deutschland in den 60er Jahren ähnliche Umweltprobleme wie jetzt China erlebt habe, z.B. die Luftverschmutzung. Seiner Meinung nach ist die Umweltverschmutzung in China nicht allein Chinas Schuld. Noch viele andere Länder müssten dafür Verantwortung übernehmen, denn diese würden von den billigen Exportprodukten profitieren, etwa Kleidern oder Schuhen, die auf Kosten der Umwelt in China produziert werden.

Was seine eigene Berichterstattung über die Umweltprobleme Chinas angeht, wies Scheuer darauf hin, dass die dpa, als größte deutsche Presseagentur, nur ganze zwei Korrespondenten in China habe. Jeden Tag müssten sie ihre Aufmerksamkeit einer kleinen Auswahl aus einer Unmenge an Nachrichten über China schenken. Umwelt ist nur ein Aspekt von vielen. Bei der Berichterstattung über Umweltprobleme in China, so Scheuer, greifen er und sein dpa-Kollege nicht selten auf die Berichte der chinesischen Medien zurück. Er appellierte an die chinesischen Kollegen, sich bei ihren Recherchen und Veröffentlichungen nicht zu sehr durch äußere Regeln und Vorschriften im Kopf einengen zu lassen.

Text & Foto: Zeng Wenhui
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