Rückblick:
Die Kunst der Kritik

19.09.2013



Gäste:


Sabine VOGEL, Literaturredakteurin der Berliner Zeitung

SHU Kewen, Vize-Chefredakteurin des Magazins Sanlian Life Weekly

Lucy CHEUNG, Kulturjournalistin der Beijing News und Chefjournalistin des Maga­zins Famous


Zeit:

5.9.2013, Peking


Durch die Initiative des Goethe-Instituts China, das die Veranstaltung gemeinsam mit dem Deutsch-Chinesischen Mediennetzwerk präsentierte, konnte Shu Kewen als weiterer Gast teilnehmen, die kurz zuvor von einer Auslandsreise zurückgekehrt war. Shu Kewen ist seit 1995 Kulturredakteurin beim Magazin Sanlian Life Weekly und inzwischen dessen Vize-Chefredakteurin. Lucy Cheung moderierte die Diskussion.

Zu Beginn machten die Teilnehmerinnen der Veranstaltung einen Städtevergleich. Sabine Vogel stellte Berlin als eine Stadt vor, die eine große Anziehungskraft auf Künstler ausübe. Zu Zeiten des Kalten Krieges etwa, als die Stadt geteilt war, drängten viele Künstler nach West-Berlin – damals eine Insel, umgeben von der DDR. Heute, zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, seien es nicht zuletzt die Lebenshaltungskosten, die Künstler aus aller Welt nach Berlin kommen lässt. Auch die Entspanntheit, die Unaufgeregtheit. Hier lasse sich leichter ein Künstlerleben verwirklichen als anderswo.

Peking wurde von Shu Kewen als eine problematische und widersprüchliche Kulturmetropole bezeichnet. Problematisch in dem Sinn, dass die Stadt eine schwere historische Last trage – bezogen auf ihre alte Geschichte, aber auch als Hauptstadt des chinesischen Kommunismus. Widersprüchlich in dem Sinn, dass in ihr sowohl denkbar konservative, dogmatische, als auch höchst experimentelle, subversive Kulturgütern sehr gut gedeihen.

Über den Druck auf die Kulturjournalisten sagte Shu, als eine unabhängige Kritikerin und aufgrund der Unternehmenskultur von Sanlian Life Weekly fühle sie sich ziemlich frei, was Einflussnahme von außen angeht. Sollte es solchen Druck von außen geben, dann fange ihr Chef diesen ab.



Vogel sagte, als Teil der Gesellschaft sei sie in ihrer Arbeit natürlich nicht völlig frei von Einflüssen. Sie könne sich nicht einem gewissen wirtschaftlichen Druck entziehen: dem von Abonnentenzahlen und, damit verbunden, Werbekunden. Von ihr werde schon erwartet, sich auf Bücher und Autoren zu konzentrieren, die im oder nahe am Mainstream sind, wie beispielsweise die Werke von Mo Yan.

Was die Fachkompetenz von Kulturjournalisten angeht, ist Shu überzeugt, dass die Einstiegshürden in den letzten Jahren niedriger wurden: Es gebe eine immer größere Zahl von Medien – also würden auch immer mehr Journalisten benötigt. Den Trend, dass immer mehr Journalisten Allrounder sind, die viele Dinge beherrschen, aber keines davon herausragend, hält sie für keine gute Sache. Dadurch gebe es weniger beeindruckende Artikel und Beiträge mit individuellem Charakter und bleibendem Wert.

Vogel ergänzte, ohne Fachkenntnisse könne man schwerlich ein Kunstwerk vernünftig kommentieren und gut analysieren. Viele ihrer Kollegen haben Fachkenntnisse, etwa in Kunstgeschichte, Literatur oder Soziologie. Im Lauf der Zeit bilden sie ihren eigenen Stil aus. Dennoch könne heute im Prinzip jedermann Kulturkritiker werden, indem er zu bloggen beginne. Über Erfolg oder Misserfolg eines solchen Blogs entscheide nicht in erster Linie die fachliche Kompetenz, sondern die Zahl der Leser.

Am Ende antworteten die Gäste auf Fragen aus dem Publikum, etwa zu neuen Medienformaten im Internet und abseits davon; zum Einfluss, den die eigenen Gefühle und Interessen der Kritiker auf ihre Artikel haben; zur Bedeutung von negativen Leserkommentaren und generell zum Einfluss, den Leser auf die Arbeit und das Selbstverständnis von Kulturkritikern haben. Es entwickelte sich ein angeregtes Gespräch, zwischen nun nicht mehr drei, sondern über vierzig Diskussionsteilnehmern.

Text: Zeng Wenhui

Fotos: Nan Haifen
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