Rückblick:
Der chinesische Traum – Von der Weltmacht zum Weltmeister?

01.10.2017



Gäste:

Stefan LOTTERMANN, Technischer Berater und Leitender Ausbilder des Chinesischen Fußballverbandes CFA

Dexing MA, Stellvertretender Chefredakteur der chinesischen Zeitung Titan Sports

Bodo MENZE, Leiter der Internationalen Beziehungen des FC Schalke 04

Moderation:

Sonja BROY, Deutsch-Chinesisches Mediennetzwerk e.V.


Hat China das Zeug zum Spielmacher des Weltfußballs? Zu diesem Thema fand am 15. September 2017 im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund eine Diskussionsrunde des Deutsch-Chinesischen Mediennetzwerks in Zusammenarbeit mit den Internationalen Journalisten-Programmen (IJP) und der Robert Bosch Stiftung statt. Stefan Lottermann (Technischer Berater des Chinesischen Fußballverbandes CFA), Dexing Ma (Stellvertretender Chefredakteur der chinesischen Zeitung Titan Sports) und Bodo Menze (Leiter der Internationalen Beziehungen des FC Schalke 04) gaben dabei Einblicke in ihr jeweiliges Arbeitsfeld.

Dexing Ma berichtete unter anderem von den Plänen des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, der seine Nation mithilfe eines 50-Punkte-Plans zur Weltmeisterschaft führen möchte. Davon ist das Reich der Mitte momentan allerdings noch weit entfernt, scheiterte China bei der Qualifikation für die WM 2018 doch jüngst unter anderem an Syrien und Usbekistan. Trotzdem heißt das Ziel nach wie vor: Teilnahme an einer Weltmeisterschaft, so schnell wie möglich. Der Fokus liegt dabei auf der Ausbildung des Nachwuchses. So sollen bis zum Jahr 2025 insgesamt 50.000 Fußballschulen in China entstehen. Dexing Mas Erklärung dafür, dass chinesische Eltern bei der Wahl eines Hobbys für ihre Kinder bisher Einzelsportarten wie Turnen und Tischtennis dem Vorzug gaben: „Fußball hatte wegen vieler Korruptionsfälle ein schlechtes Image, außerdem ist das Verletzungsrisiko bei einer Teamsportart höher.“



Von deutscher Seite sehen die Ziele in China ganz anders aus: „In erster Linie dient das Engagement von Schalke 04 in China Marketing-Zwecken“, gab Bodo Menze unumwunden zu. Eine PR-Absprache zwischen deutschen Bundesligisten – in China sind derzeit neben Schalke auch der FC Bayern, Borussia Dortmund, der VfL Wolfsburg und der Hamburger SV aktiv – zur „Gebietsaufteilung“ Chinas gebe es dabei nicht. Schalke war zuletzt diesen Sommer auf China-Tour, bringt sich dort aber auch über eine eigene Fußballschule in die Ausbildung von Spielern und Trainern ein. Menze hat ab Anfang der 90er Jahre die Schalker Nachwuchsakademie Knappenschmiede aufgebaut und geleitet, in der zahlreiche Spieler der deutschen Weltmeister-Elf von 2014 ausgebildet wurden. In Bezug auf das derzeitige spielerische Niveau in China prognostizierte er dem Land noch einen langen Weg und verwies darauf, dass es Jahrzehnte braucht, um eine solide Nachwuchsarbeit zu implementieren und letztendlich die erhofften Erfolge einzufahren. „Wir als Club investieren jetzt in die Ausbildung von Trainern und Spielern, um dann auf dem Markt direkt profitieren zu können“, so Menze.

Stefan Lottermann äußerte sich zur kürzlich im Bundeskanzleramt geschlossenen Kooperation zwischen dem Deutschen Fußball-Bund und dem Chinesischen Verband. Teil dieser Kooperation ist, dass ab der Rückrunde 2017/18 die chinesische U 20-Nationalmannschaft in die deutsche Regionalliga Südwest eingegliedert wird. Da die Liga aus 19 Mannschaften besteht und damit jeweils ein Verein pro Spieltag frei hat, wurde den Clubs an diesen Tagen ein Freundschaftsspiel gegen Chinas U 20 angeboten. Diese soll von der Spielpraxis in Deutschland mit Blick auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020 profitieren.



Der Deal sorgte nach Bekanntwerden wochenlang für große Unruhe in der deutschen Fanszene, fünf der Regionalligavereine hatten ihn abgelehnt und verzichteten damit auf 15.000 Euro Honorar für den Spielantritt gegen die chinesische U 20. Lottermann versteht die Aufregung um die Kooperation nicht: „Für die Regionalligisten ist das viel Geld, und niemand zwingt sie, mit ihrer A-Besetzung anzutreten. So ein Spiel ist auch eine Chance für die deutschen Spieler, die in der Regionalliga häufig auf der Bank sitzen, Spielpraxis zu gewinnen“, fügte Lottermann hinzu.

Ein Video-Einspieler von Fußballtrainer Roger Schmidt, der im Juli 2017 nach seiner Entlassung bei Bayer Leverkusen zu Beijing Guoan gewechselt ist, bildete die Überleitung zum Thema Fankultur. Mediennetzwerk-Mitglied Felix Lee hatte Schmidt im Vorfeld der Diskussion in Beijing besucht und mit ihm über seine ersten Eindrücke von der Chinese Super League als Pendant zur deutschen Bundesliga gesprochen. Schmidt ist nach Felix Magath erst der zweite deutsche Trainer in Chinas oberster Spielklasse. Er hob hervor, dass er überrascht sei von den Rahmenbedingungen und der guten Stimmung im Stadion, die der in Deutschland in nichts nachstehe.



Ma erklärte daraufhin, dass in der Regel nur die Heimspiele gut besucht seien. Fantum in China bedeute, sich der Mannschaft anzuschließen, die den größten Erfolg habe und von dieser auf Auswärtsfahrten eingeladen und für die Teilnahme aufgrund der weiten Wege innerhalb des Landes sogar bezahlt zu werden. Ma in Richtung Menze: „Für die chinesischen Fans zählt nur Erfolg, nicht wie in Deutschland der regionale Bezug und die Tradition des Vereins. Daher ist für sie der FC Bayern als erfolgreichste deutsche Mannschaft am wichtigsten und die englische Premier League mit ihren großen, finanzkräftigen Clubs viel interessanter als die Bundesliga.“ Er sorgt sich darum, dass durch andauerndes Kompetenzgerangel zwischen Verband und Bildungsministerium oder den Wechsel des Präsidenten, die angestoßene fußballerische Entwicklung des Landes schnell wieder gestoppt werden könnte.

Lottermann entgegnete, dass die Entwicklung des chinesischen Fußballs nicht mehr so schnell abgebrochen werden könne. Und sorgte mit seiner Antwort auf die abschließende Frage für Lacher: „Wann China denn nun Weltmeister wird? Das wollen meine Vorgesetzten im Verband auch immer schon zur Begrüßung wissen.“ Im nächsten Schritt, so Lottermann, sei nun aber erst einmal die Ausrichtung eines WM-Turniers (und damit die garantierte Teilnahme als Gastgeber) realistisch.


Text: Sonja Broy

Fotos: Frank Schultze


Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit den Internationalen Journalisten-Programmen e.V. (IJP) und der Robert Bosch Stiftung.



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